"Little Rock Nine" 1957: Mut gegen Wut (2024)

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Die sechs Mädchen und drei Jungen sind eigentlich ganz normale Teenager. Sie freuen sich auf Pyjamapartys mit Freunden und fiebern dem ersten Date entgegen. Ihre Eltern sind Priester oder Lehrer. In den Bücherregalen der Familien stehen Shakespeare oder Chaucer, sie schicken ihre Kinder zu den Pfadfindern und gehen jeden Sonntag in die Kirche. Die Mädchen tragen lange Röcke, die Jungen Anzüge.

Und doch sind die neun Teenager aus Little Rock, Arkansas, anders. Elisabeth Eckford, Ernest Green, Gloria Ray Karlmark, Carlotta Walls Lanier, Minnijean Brown Rickey, Terrence Roberts, Jefferson Thomas, Thelma Mothershed Weir und Melba Pattillo Beals sind schwarz. Und ihretwegen schickt US-Präsident Dwight D. Eisenhower im September 1957 1000 Soldaten nach Little Rock im US-Bundesstaat Arkansas.

Es sind nicht irgendwelche Soldaten, sondern Mitglieder der "Screaming Eagles", der 101. Luftlandedivision, die im Zweiten Weltkrieg die Landung der Alliierten in der Normandie vorbereitet hatte. In Little Rock sollen sie dafür sorgen, dass die dunkelhäutigen Teenager zur Schule gehen können.

Der Armeeeinsatz wird zum Höhepunkt in einem Streit, der in die US-Geschichte eingeht und Elisabeth, Ernest und die anderen als "Little Rock Nine" berühmt macht. Die Teenager sind die ersten farbigen Schüler, die in Little Rock eine "weiße" Schule besuchen. Ihr Erfolg wird zu einem Fanal gegen die Rassentrennung und zum Sieg über einen hasserfüllten Mob, der sich ihnen entgegenstellt - und doch ist er teuer erkauft.

Neun gegen 1900

Die "Little Rock Nine" haben seit einem Urteil drei Jahre zuvor das Recht, eine bisher nur für Weiße geöffnete Schule zu besuchen. Der Oberste Gerichtshof hatte in einem Präzedenzurteil entschieden, dass die Rassentrennung an öffentlichen Schulen gegen die Verfassung verstößt. Doch weil die Richter keine konkreten Vorgaben gemacht haben, wann die Trennung aufzuheben ist, beschließt die Schulbehörde von Little Rock, sie bis zum Beginn des Schuljahres 1957 im September hinauszuschieben.

Die Regelung betrifft immerhin 517 nicht-weiße Schüler und Schülerinnen in Little Rock, einer Stadt mit 100.000 Einwohnern. Die Begeisterung - oder der Mut - ist aber nicht groß, denn nur 80 von ihnen melden Interesse am Besuch einer "weißen" Highschool an. Am Ende des Auswahlverfahrens bleiben neun übrig. Ab Anfang September 1957 soll die Central High ihre neue Heimat werden - eine Schule mit 1900 weißen Schülern und einem sehr guten Ruf.

"Little Rock Nine" 1957: Mut gegen Wut (1)

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Dort hat niemand ein Interesse an den neun, im Gegenteil: Um die Neuen zu demotivieren, beschließt die Schulverwaltung noch vor dem ersten Schultag, die dunkelhäutigen Teenager von allen außerschulischen Aktivitäten auszuschließen. Ende August reicht eine neue Vereinigung mit dem Titel "Liga der Central-Highschool-Mütter" zudem eine Klage ein, um die Aufnahme der neun in letzter Minute noch zu verhindern. Das Argument: Aufstände würden ausbrechen, Jugendliche beider Seiten hätten sich mit Waffen eingedeckt. Unterstützt wird die Initiative vom höchsten Politiker Arkansas', Gouverneur Orval Eugene Faubus. Die Vereinigung bekommt recht, muss aber drei Tage später eine Niederlage einstecken: Das Urteil wird vom nächsthöheren Gericht aufgehoben.

Stimmung auch unter Schwarzen gemischt

Der Druck auf die Mädchen und Jungen wächst trotzdem weiter. Melbas Vater droht seinen Job zu verlieren, weil seine Tochter auf die Schule wechseln will. Mitglieder der schwarzen Kirchengemeinde berichten von ähnlichem Druck seitens ihrer Arbeitgeber. Sie reden auf die neun ein, von dem Vorhaben abzulassen. Andere wiederum ermuntern sie, zu kämpfen.

Am 4. September soll es endlich so weit sein: der erste Schultag. Melba Patillo Beals hat die ganze Nacht nicht schlafen können, schuld sind anonyme Drohanrufe, die bis in den frühen Morgen andauern. Und auch der Weg zur Schule wird zum Horrortrip. Vor der Schule haben sich aufgebrachte weiße Männer und Frauen versammelt. Radio- und Fernsehstationen berichten live. "Ich bin für Rassentrennung, weil es schon in der Bibel steht", sagt einer der Demonstranten in das Mikrofon eines Fernsehjournalisten. Melba und ihre Mutter werden von drei weißen Männern gejagt und flüchten sich zurück zu ihrem Auto. Elisabeth - ganz auf sich allein gestellt - wird von allen Seiten angeschrien und bedrängt. Zwei Weiße stellen sich ihr schließlich zur Seite

Am Vorabend hatte Gouverneur Faubus die Nationalgarde nach Little Rock beordert. Sie soll die öffentliche Sicherheit garantieren, die Faubus aufs Höchste gefährdet sieht: "Ich muss hier in aller Öffentlichkeit feststellen, dass es meiner Ansicht, ja sogar meiner Überzeugung nach nicht möglich sein wird, die Ordnung wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten und das Leben und den Besitz der Bürger zu schützen, wenn morgen den Schulen dieser Gemeinde die Integration aufgezwungen wird."

Schutz können die neun Schüler von der Nationalgarde nicht erwarten. Die nächsten zwei Wochen müssen Melba, Elisabeth und die anderen sieben deshalb zu Hause bleiben. Der weiße Mob demonstriert weiter. Schwarze werden auf offener Straße zusammengeschlagen.

Bespuckt und geschlagen

Am 20. September kommt es zu einer Anhörung vor dem Bundesbezirksgericht in Little Rock. Der Richter entscheidet, dass Gouveneur Faubus den Plan zur Aufhebung der Rassentrennung hintertrieben hat, indem er die Nationalgarde nicht zum Schutz der Schüler einsetzte. Drei Tage später scheinen die neun Schüler am Ziel. Sie schaffen es tatsächlich, diesmal unter dem Schutz der Polizei, ins Schulgebäude zu gelangen und am Unterricht teilzunehmen. Aber für welchen Preis?

"Mein Körper war taub. Ich habe nur meinen Kopf gespürt und meine Gedanken", schreibt Melba später. Vor dem Gebäude haben sich etwa tausend Demonstranten versammelt, die Polizei verliert die Kontrolle. "Negerhure. Warum gehst du nicht nach Hause?", schreit eine Frau sie in der Schule an, Melba wird bespuckt und ins Gesicht geschlagen. Gerade so schaffen es die neun Teenager unversehrt nach Hause.

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Die Gewalt in Little Rock eskaliert. Der Bürgermeister wendet sich in seiner Verzweiflung schließlich an den US-Präsidenten. Eisenhower ist selbst kein Freund der Integration, sieht sich aber in der Pflicht, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs umzusetzen - und schickt die "Screaming Eagles" an die Central Highschool. Außerdem nimmt er Gouverneur Faubes die Befehlsgewalt über die Nationalgarde, indem er sie unter Bundeskommando stellt.

Am 25. September 1957, drei Wochen nach dem ersten Versuch, verbringen die neun afroamerikanischen Schüler von Little Rock ihren ersten vollen Schultag an der Central High. Jeder von ihnen wird von einem Soldaten als Leibwächter bis in die Klassenzimmer begleitet.

Alle haben studiert und wurden erfolgreich

Doch die Tortur ist damit für die neun Schüler immer noch nicht zu Ende. Sie werden weiterhin von ihren Mitschülern beschimpft und angegriffen. Minnijean wird mitten im Schuljahr der Schule verwiesen, weil sie sich gegen die Angriffe wehrt. Erst 1959 zieht Normalität in den Schulalltag ein.

Ernest Green macht 1958 als erster Schwarzer seinen Abschluss an der Central High und studiert in Michigan Soziologie. Seine acht Freunde werden ebenfalls erfolgreich, jeder einzelne schließt sein Studium ab. Aber keiner von ihnen wohnt heute noch in Little Rock.

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Author: Eusebia Nader

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